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Zu der Geschichte: De Billerrahm

Der aus Warsingsfehn (Landkreis Leer) stammende Wilko Lücht erhielt
am 24. September 2016 in Soltau die Freudenthal-Anerkennung für seine
– hier nun abgedruckte – Erzählung De Billerrahm.
Höchst gelungen ist darin der Einsatz eines ,unzuverlässigen Erzählers‘,
der den Anschein zu erwecken versucht, er durchschaue Regeln und Strategien
,richtigen‘ Erzählens. Der Leser erhält eine Darstellung von weit
zurückliegenden Ereignissen, die einerseits höchst subjektiv ist und die

andererseits sehr wohl erkennen lässt, dass eine Verarbeitung von Belastungen
und Verletzungen aus der NS-Zeit späterhin kaum stattgefunden
hat. Durch die erzähltechnische Rückbindung an die angeblichen – deutlich
satirisch überzeichneten – Erwartungen eines auf einen „plattdüütsken
Literaturpries“ hinarbeitenden Journalisten sowie durch die Stimme
eines seinerzeit mutmaßlich vergrabenen „Billerrahm“, in dem zuvor ein
Foto von Reichspräsident Ebert gesteckt hatte, wird die Geschichte polyperspektivisch
entfaltet, erreicht der junge Autor eine in der zeitgenössischen
plattdeutschen Literatur ungewöhnliche Vielstimmigkeit. Sein genau
durchkomponierter Text bietet Leerstellen, die der Leser, dem sich
die komplizierten Zusammenhänge erst bei genauer Lektüre erschließen,
durch Assoziationen und triftige Verknüpfungen füllen muss. Erzählt wird
mit immer neuen Digressionen – Abschweifungen z.B. über Kinder und
über „Familienfieren“, über das Nähen und vor allem über „de Bummert“
–, so dass sich der Leser immer auch herausgefordert sieht, Wichtiges
von Unwichtigem zu scheiden. Dies wird ihm indes dadurch erschwert,
dass der Erzähler die Familienverhältnisse auf eine befremdlich-
eigenwillige Weise vermittelt, indem er umständlich – wie er wohl
meint: distanziert-korrekt – z.B. von dem „Jung van mien Bestvader“ und
„hum sien Bröör“ spricht, von denen einer – womöglich gar „de Pleegsmann“
(ein Maurer-Handlanger) – des Erzählers Vater gewesen sein muss;
in dieser Perspektive ist von des Erzählers Frau konsequent als „de Dochter
van mien Swiegervader“ die Rede.
Es geht um Familie und Nachbarschaft in einem ostfriesischen Dorf während
der Hitler-Diktatur, um das immer schwieriger werdende
Miteinander von jenen, die sich wie „Santjer“ (ein Verwandter ,aus der
sandreichen Gegend‘?) den Nazis andienen, und denen, die Friedrich
Ebert und dem Reichsbanner (also der SPD) zunächst noch die Treue halten.
Der Erzähler ahnt, dass das Ebert-Bild – am Ende nur noch sein Rahmen
– Symbol für etwas anderes sein könnte, für dessen Klärung er,
wenngleich vergeblich, den Kontakt zu seinem Bruder in Göttingen sucht.
Immerhin scheint ihm bis zu einem gewissen Grade klar zu sein, dass
„de Bodel mit de Benzinkanister“ (mit einer Brandbombe der Alliierten
im Luftkrieg?), der sein Elternhaus traf, ins Zentrum seiner Erzählung
gehört. Die beiden einzigen, die aus der siebenköpfigen Familie überlebt
haben, weil sie gerade nicht zu Hause waren, sind der Erzähler und sein
Bruder. Sie sind einander späterhin fremd geworden, und noch jetzt (,Erzählzeit‘
ist Mitte der 1970er Jahre) weiß der Erzähler letztlich nicht, auf
welche Weise und inwiefern diese ,unerhörte Begebenheit‘ – laut Goethe

das Spezifische einer Novelle – für ihn und seinen Bruder lebensbestimmend
geworden ist. Der aufmerksame Leser indes vermag die disparaten
Hinweise sehr wohl zusammenzufügen, gerade aus den Abschweifungen
und dem, was eher nebenbei zur Sprache kommt, kann er ableiten
und sich ein Bild davon machen, wie das eine mit dem anderen – bis
in die Gegenwart hinein – zusammenhängt.
Es ist dies eine Geschichte, die den Leser fordert, die er vor- und zurückblätternd
mehrfach lesen sollte und die ihn am Ende nachdenklich zurücklässt.

Heft Artikel von: Scheuermann, Barbara

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