Blühendes Rapsfeld mit leicht bewöltem Himmel

Die Entstehungsgeschichte der Vereinigung

Gegründet am 17. Februar 1904 auf Initiative des Hamburger Schulrats Adolf Stuhlmann als „Freie Vereinigung von Freunden der Niederdeutschen Sprache und Literatur“, stellte die Vereinigung, deren Name ab 1906 „Quickborn, Vereinigung von Freunden der niederdeutschen Sprache und Literatur“ lautete, eine von bildungsbürgerlichem Bewußtsein getragene Institution der Heimatkunstbewegung dar. Die „Pflege der niederdeutschen Sprache und Literatur“ war und ist ihr erklärtes Ziel. Seit 1977 hat sie sich auch die wissenschaftliche Forschung auf diesem Gebiet ausdrücklich zur Aufgabe gemacht. Bis zum Ersten Weltkrieg führten ihre Mitglieder 164 Zusammenkünfte durch, von denen die meisten den Charakter von Arbeitsversammlungen hatten, bei denen aus ihrem Kreis Vorlesungen und Vorträge über sprachliche, volkskundliche und literarische Themen gehalten wurden. Gorch Fock, der mehrere Jahre im Vorstand der Vereinigung aktiv mitgearbeitet hat, trug an einem dieser Abende seine erste plattdeutsche Erzählung vor. Öffentliche Veranstaltungen mit zahlreichen Teilnehmern brachten der Vereinigung viel Zulauf und dem Plattdeutschen vor allem in Hamburg erhöhtes Ansehen. Sie galten dem früh verstorbenen niederdeutschen Dramatiker Fritz Stavenhagen (1876-1906), der dem Begründer der neuniederdeutschen Literatur Klaus Groth (1819-1899) und dem noch bekannteren „Klassiker“ dieser Literatur, Fritz Reuter (1810-1874), dessen Landsmann, dem Erzähler und Lyriker John Brinckman (1814-1870, und dem Holsteiner Johann Hinrich Fehrs (1838-1916), der Ehrenmitglied der Vereinigung war.

Vorsitzender seit 1908 und eigentlicher Motor der Vereinigung war Paul Wriede, dem es gelang, bis zu seinem Tod im Jahr 1926 mit Geschick, kaufmännischem Weitblick und Engagement den Verein mit den von ihm gegründeten beiden Zeitschriften und einer Buchreihe durch alle Schwierigkeiten der Kriegs und Inflationsjahre hindurch zu lenken und seine Arbeit weiter zu entwickeln. Mit diesen Zeitschriften wirkte und wirkt der Verein weit über Hamburg hinaus im gesamten Bereich der niederdeutschen Mundarten, heute also von Flensburg bis Greifswald, Braunschweig, Münster und Emden. Die Plattdeutsch-Sprecher in Kasachstan, Kanada und Brasilien werden dabei nicht vergessen.

Die Mitteilungen aus dem Quickborn erscheinen seit 1907 vierteljährlich mit Aufsätzen, Rezensionen, Berichten und Nachrichten, seit 1968 unter dem Titel „Quickborn – Zeitschritt für plattdeutsche Sprache und Dichtung“. Die Halbjahresschrift „Plattdüütsch Land un Waterkant“, von Paul Wriede 1915 als Unterhaltungsblatt für die Soldaten des Ersten Weltkriegs gegründet, entwickelte sich seit Anfang der achtziger Jahre nun mit dem Untertitel „Blatt for plattdüütsche Literatuur von vondaag“ zum wichtigen Forum für zeitgenössische plattdeutsche Literatur. 1993 wurde sie mit Quickborn verschmolzen zur „Quickborn Zeitschritt für plattdeutsche Sprache und Literatur“.

Ab 1913 veröffentlichte die Vereinigung die Reihe der „Quickborn-Bücher“ mit Proben aus Dichtungen und volkstümlichen Darstellungen kulturgeschichtlichen, volkskundlichen und sprachgeschichtlichen Inhalts. Die auf weite Verbreitung hin konzipierten Bändchen erreichten ihre höchsten Auflagen während des Ersten Weltkriegs, als sie in großer Zahl an die Front und in die Lazarette geschickt wurden, und nach diesem Krieg, als die Mitgliederzahien im Zusammenhang mit der Verunsicherung des Bürgertums nach dem Ende des Kaiserreichs sprunghaft zunahmen. Die bedeutendste Veranstaltung während des Krieges war die Gedenkfeier für den 1916 in der Schlacht im Skagerrak untergegangenen Gorch Fock. Während es in der Zwischenkriegszeit etwa dreißig größere Veranstaltungen gab, darunter mehrere mit Liedvorträgen, fanden nach dem Zweiten Weltkrieg nur noch zwei große Veranstaltungen statt, darunter ein Rudolf Kinau-Abend. Eingeleitet durch die Weltwirtschaftskrise nahmen die Mitgliederzahlen seit etwa 1930 stetig ab. Jedoch musste die fast ausschließlich ehrenamtlich geleistete Arbeit gegen Ende des Zweiten Weltkriegs nur kurzfristig unterbrochen werden.

Der völkisch-nationalen Grundeinstellung der sicherlich meisten Mitglieder entsprechend wurde nach personeller Anpassung im Vorstand (ein Redakteur und ein Vorstandsmitglied mussten ausscheiden, ein Träger des goldenen Parteiabzeichens der NSDAP wurde Vorsitzender) die Eingliederung der Vereinigung in die nationalsozialistische Kulturpolitik unter dem Dach der „Vereinigung Niederdeutsches Hamburg“ nahezu problemlos vollzogen.

Die Wiederaufbauphase nach dem Zweiten Weltkrieg war gekennzeichnet durch das fast vollständige Verschwinden der Mundarten aus der Öffentlichkeit und eine fortschreitende Isolation der niederdeutsch literarischen Szene. Die durchgehend akzeptierte Identifizierung der niederdeutschen Literatur mit der fortwirkenden, meist trivialen Heimatkunst trug dazu bei, dass erst als sich die Verkrampfung in nationalpolitischen Fragen in Deutschland wenigstens zeitweilig zu lockern begann, eine Öffnung für Strömungen der Gegenwartsliteratur, für Fragen eines zeitgemäßen Regionalismus und der Ökologie möglich wurde. Seit den sechziger Jahren fördert die Vereinigung mit Nachdruck diejenige niederdeutsche Mundartliteratur, die als ein Teil der zeitgenössischen europäischen Literatur zu verstehen ist, wie die Lyrik und Prosa von Hinrich Kruse, Norbert Johannimloh, Johann Diedrich Bellmann, Oswald Andrae, Siegfried Kessemeier, Wolfgang Sieg, Harald Karolczak, Peter Kuhweide, Greta Schoon, Gerd Spiekermann, Waltrud Bruhn, Elke Paulussen und Walter A. Kreye, um nur einige wichtige Autorinnen und Autoren zu nennen, ohne die mehr traditionellen Wegen folgende Literatur, die auch heute die bei weitem meisten Leser findet, dabei außer acht zu lassen. Sie bezieht in ihre Arbeit die für die Mundart als eine vorwiegend gesprochene und gehörte Sprache besonders wichtige Hörspielliteratur ein, berichtet über niederdeutsche Theaterinszenierungen und auch über niederdeutsche Fernsehsendungen. Mit den Rundfunksendern wurden stets gute Verbindungen unterhalten. Eines der Vorstandsmitglieder war bis zu seinem Ausscheiden 1933 Direktor bei der NORAG, und von 1926 bis 1936 war der für die niederdeutschen Sendungen bei der NORAG beziehungsweise beim Sender Hamburg verantwortliche Hans Böttcher Schriftleiter der „Mitteilungen aus dem Quickborn“ und zeitweilig Vorsitzender der Vereinigung. Ein ehemaliger Redakteur der NDR HamburgWelle 90,3 im Ressort Plattdeutsch war gleichfalls in der Redaktion der Zeitschrift „Quickborn“ tätig.

Als einen ersten Ansatz zur Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit und der niederdeutschen Kulturszene überhaupt veranstaltete die Vereinigung im Februar 1983 in Zusammenarbeit mit dem Museum für Hamburgische Geschichte ein wissenschaftliches Kolloquium zum Thema „Mundartliteratur/Heimatliteratur am Beispiel Gorch Fock“, dessen Referate zusammen mit zwei weiteren Arbeiten zum Thema als Quickborn-Buch Nr. 77 herausgegeben wurden. Die ‚Quickborn-Bücher‘ wurden bis 1987 von dem ursprünglich von Paul Wriede gegründeten Quickborn-Verlag veröffentlicht, seitdem erscheinen sie in verschiedenen Verlagen und nicht mehr in einheitlicher Aufmachung. Ihr Spektrum hat sich durch Neuausgaben älterer Literatur, wie des mittelniederdeutschen Mysterienspiels Theophilus (mit einer Übertragung ins Plattdeutsche, anläßlich einer Inszenierung in Hamburg) und des Hamborger Kinnerbok von Hermann Claudius von 1920 erweitert. Auch die Jubiläumsschrift Niederdeutsche Tage in Hamburg 75 Jahre Vereinigung Quickborn und wissenschaftliche Sammelbände wie der erwähnte Gorch-Fock-Band, die Festschrift für Ulf Bichel, Dat een Spoor blifft, und die im Anschluß an ein wissenschaftliches Kolloquium 1989 in ltzehoe von der Vereinigung Quickborn zusammen mit der Bevensen Tagung e. V. konzipierte Aufsatzband Niederdeutsch im Nationalsozialismus Studien zur Rolle regionaler Kultur im Faschismus, der 1994 erschien und als Doppel-Jahresgabe der Vereinigung an die Mitglieder ausgegeben wurde, gehören zu den Jahresgaben.

Von den plattdeutschen Gegenwartsautorinnen wurden Einzelbände mit Prosa und Lyrik von H. Karolczak, G. Spiekermann, E. Paulussen und W. Bruhn als Jahresgabe übernommen. Im Jahre 1998 erschien ein Erzählungsband von Hertha Borchert, der Mutter Wolfgang Borcherts, die in den 30er Jahren eine bekannte niederdeutsche Autorin war, aus dem Nachlaß. Im Jahre 1999 wurde ein kleiner Band der damaligen Nachwuchsautorin Anja Meyfarth als Jahresgabe verteilt, da auch der literarische Nachwuchs von der Vereinigung nachdrücklich gefördert wird.

Unterhalten wurde die Vereinigung von Beginn an außer durch Mitgliedsbeiträge durch freiweillige Spenden ihrer Leser und Freunde, ferner durch  Zuwendungen der Kulturbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg in unterschiedlicher Höhe.

Alle zwei Jahre verleiht der Quickborn einen „Quickbom-Preis“ für „besondere Leistungen auf dem Gebiet der Niederdeutschen Sprache und Literatur sowie der volkskundlichen Forschung“, der mit 2000 € dotiert ist und von Mäzenen gesponsert wird.

Autoren, Volkskundler, Verleger und Theaterleiter gehören zu den Preisträgem. In den 90er Jahren, nach Wiederaufnahme der Preisverleihungen im Jahre 1992 wurden:

Pastor Dr. Heinrich Kröger, Prof. Friedrich W. Michelsen, Heinrich E. Hansen sowie 1998 der Ostfale Jürgen Schierer aus Peine durch das Kuratorium des Preises als Preisträger benannt.

Die Anfang der siebziger Jahre einsetzende „Mundartwelle“ hat auch für die niederdeutschen Mundarten ein erhöhtes Prestige, jedoch vor allem wegen des Ausfalls der in der mundartfeindlichen Nachkriegszeit aufgewachsenen mittleren Generation als aktive Sprecher und damit Weitervermittler insgesamt kein Anwachsen der Sprachkompetenz mit sich gebracht. Eine Vermehrung der Leserzahlen ist ablesbar an der Steigerung der Zahl der zwischen Anfang der siebziger bis Ende der achtziger Jahre veröffentlichten niederdeutschen Schriften um etwa hundert Prozent. Zu bedenken ist dabei, dass plattdeutsche Bücher sogenannte „Longseller“ sind, also niemals hohe Auflagen erreichen und auch nicht in großen, sondern fast ausschließlich in kleinen, allenfalls mittelgroßen Verlagen erscheinen, oft aber von Kleinverlagen und Druckereien nicht selten auf Kosten der Autoren oder im Selbstverlag veröffentlicht werden. Für die Vereinigung bedeutet dies eine Steigerung der Zeitschriftenabonnenten bei gleichzeitigem Absinken der Mitgliederzahlen.

Die Bibliothek der „Quickborn Vereinigung für niederdeutsche Sprache und Literatur e.V.“ wurde 1996 als selbständige Abteilung mit etwa 4000 Bänden der „Niederdeutschen Bibliothek“ der Carl-Toepfer-Stiftung Hamburg angegliedert und kann in der Peterstraße 36 (Ecke Hütten), 20355 Hamburg, mittwochs und donnerstags zwischen 9 und 17 Uhr eingesehen werden.

Die Bibliothek wird von Frau Dr. Ulrike Möller betreut (Tel. 040-34 08 23).

Prof. F. W. Michelsen / D. Römmer 1999 – teilweise aktualisiert von P. Kücklich 1/2017