In ansprechendem, ostfriesischem Grün präsentiert Carl-Heinz-Dirks hier eine vielfältige Sicht auf seine nordwestliche Heimat – mit einem kleinen Titelbild des berühmtesten und wohl tatsächlich beliebtesten Ostfriesen, nämlich Otto Waalkes. Dieser ist ja wie Dirks ein gebürtiger Emder. Der Autor schreibt hier hauptsächlich auf Hoch, obwohl wir ja alle wissen, dass Dirks ein ausgewiesener Kenner und Proter van oostfreesk Platt ist. Trotzdem lesen wir hier, teils in komprimierter hochdeutscher Fassung am Anfang und Schluss, im größten Mittelteil aber in lexikalischer, unterhaltsamer und zweisprachiger Form jede Menge über das ostfriesische Platt, seine Menschen, Geschichte und Landschaft. Das dürfte wohl jeden/e Touristen/in östlich und südlich von Weser und Ems und ebenso dort alle Platt-Proter-Snacker belehren und erfreuen. Das macht Dirks auf eine ebenso einfache wie verblüffende und wirksame Art und Weise: Er „proot un snackt in Oostfreesland“ zweisprachig in alphabetischer Reihenfolge von kurzen Artikeln von „Aal“ bis „Zwischen den Jahren“. Dabei erspart er sich komplizierte sprach- oder regionalhistorische Ein- oder Zuordnungen, die es ja schon in Dutzenden von Werken – zum Beispiel im INS in Bremen, im „Quickborn“ und von der Bevensen-Tagung – gibt. Und trotzdem erfahren wir unglaulich viel über Ostfriesland – und zwar wie nebenbei, manchmal häppchenweise, aber insgesamt in einem weit gefächerten, sprachlichen Mosaik-Muster. Dabei wird man nicht gezwungen, langsam und logisch voranschreitend zu lesen, sondern man kann immer wieder (nach dem logischen Alphabet) schnell und wirksam eine sprachliche oder historische Lücke im Kopf schließen. Wie praktisch in unserer knappen Zeit!
Hier ein paar Beispiele: „Bitte“ oder neu-platt „bidde“ würde ein Ostfriese nicht sagen. Also auch nicht: „Geev mi bidde Botter“. Er sagt richtig: „Doo mi even de botter“. (Anmerkung von mir: wenn er sagen würde: „do mi h a l t de Botter…“ dann sollte man ihn gleich nach München abschieben!) Ein Ostfriese würde auch gar nicht auf die folgende, gelangweilte Frage eines Kellners reagieren: „Glas Tee bidde?“ Er hört aber sofort auf die elegante Frage: „Mag ik Jo to ´n Koppke Tee nögen?“ … und der höfliche Ostfriese antwortet dann: „Leep geern!“ … Und nicht übertrieben auf Hoch: „Bitteschön, das ist aber nett!“
Oder bei dem hochdeutschen Stichwort „Fahrrad“ erfährt man, dass Graf von Wedel schon 1867 das erste Fahrrad in Ostfriesland auf der Evenburg in Loga gebaut hat, nach dem französischen Vorbild eines „Velociped“ aus Paris. Wusste ich gar nicht! Dann kommt Dirks schnell wieder zur Sprache. Er nennt europäische Wörter für Fahrrad: „Velo“ in der Schweiz; „fiets“ in den Niederlanden (irgendwie aus „vélocipede“ und „flitziped“ von den pfiffigen Holländern zusammengezogen); englisch „bicycle“, aus lat. cyclus, Kreis; neu-hochdeutsch, bzw. englisch heute: „bike“. Schlusssatz in diesem Artikel von Dirks: „Ein Mountain-bike ist ja in Ostfriesland nicht nötig, aber wie wäre es mit einem dike-bike?“ Habe ich auch noch nie gehört… finde ich gut!
Am Störtebekerturm in „Marienhafe“ erfährt der Tourist/in heute fälschlicherwesie, dass hier an eisernen Ringen im Mauerwerk früher die Likedeeler-Piraten ihre Raubkoggen festgemacht hätten. Falsch: „Hafe“ ist ein altes plattdeutsches Wort für „Hof“ – also hier der „Hof der Maria“. Nur in „Wilhelmshaven, Cuxhaven, Bremerhaven“ gibt es echte Seehäfen und deshalb mit „v“. Aber die echten, ostfriesischen Häfen am Wattenmeer heißen alle nach ihrem Wasserdurchlass im Deich: Accumersiel, Altfunnixsiel, Bensersiel, Carolinensiel, Greetsiel, Harlesiel, usw.
Und am Schluss stellt sich Dirks auch mit guten Argumenten auf die Seite der Befürworter von Platt als Sprache. Und er bekräftigt das noch dadurch, dass er betont: Plattdeutsch ist eine eigene Sprache, aber sie könnte – und müsste – einiges mehr an Unterstützung, Förderung und Akzeptanz gebrauchen.
Dazu kann dieses kluge und besondere Kurz-Handbuch in den zwei Sprachen Platt und Hoch beitragen. Wenn man fast alle „Mosaik-Steinchen“ durch- oder zumindest angelesen hat, dann weiß man, dass hier ein ausgewiesener Kenner von Sprache, Geschichte und „Kuntrei“ in Ostfriesland unterhaltsam und sachlich-klar geschrieben hat. Man sollte ein solches handliches Buch – egal, ob als Tourist/in oder Zugezogener/in oder nur Tagesgast/in – stets in seiner/ihrer Tasche tragen und bei jedem Gespräch mit Einheimischen, an (fast) jeder Denkmalsecke, an (fast) jedem Straßennamen zur Hand nehmen und dort bei den Stichworten nachlesen. Wenn man das oft genug tut – viele Kurgäste aus dem Rheinland kommen schon 20-30mal hintereinander an unsere Küste – fühlt man sich mit Sicherheit wie ein „echter“ Ostfriese, auch sprachlich. Die neumodischen, hochdeutschen Krimis mit so dummen und unfriesischen Titeln wie „Ostfriesen-Tod… Sünde… Mord…Gift…usw.“ kann man dann getrost beiseite legen.
Carl-Heinz Dirks, „Wi proten un wi snackt in Ostfriesland“,
Eilert & Richter Verlag, 2021, Hamburg, 210 S.
ISBN 978-3-8319-0792-2
Heft Artikel von: Brüchert, Erhard