Erhard Brüchert legt wieder eine beeindruckende Anthologie vor – diesmal mit Essays rund um die drei Titel-Stichworte. Fürwahr: viele Interessen rund um seine Heimat und seine plattdeutsche Sprache prägen diese Texte! Wir sind uns nicht nur durch das Studium der Germanistik sondern auch durch unsere gemeinsame Juroren-Tätigkeit für den Borsla-Preis vertraut, vielleicht auch durch gelegentliche Mitarbeit bei Quickborn. Drei Teile gliedern die Essays:
A. Plattdeutsch: Sprache und Heimat (7ff),
B. Geschichte: Oldenburg und Ostfriesland (81ff) und
C. Menschen: Oldenburger und Ostfriesen (149ff).
Vielfältig und gründlich wird der Heimatbegriff im ersten Essay beleuchtet. Dabei finde ich sympathisch, wie der Autor den derzeitigen Heimatort, die ihm lieb gewordenen Menschen und die Sprache, in der er sich heimisch fühlt, zum Inhalt des Begriffs zusammenfügt. Klar, dass in diesem Essay auch die Heimatssprache (18; 22ff) zu Wort kommt.
Bei den unterschiedlichen Phasen, denen die Oldenburger (26ff) Hymne durchläuft, vermisse ich die Melodie und einen Vergleich zum Deutschlandlied.
An zwei Füllwörtern, die im Übrigen, wie ich aus zahllosen Rhetorikschulungen weiß, gern auch kombiniert gebraucht werden: eben und halt werden auch gern zu eben halt bietet Brüchert seinen beeindruckenden interdisziplinären Fundus aus.
Die Deutschkritik, von Mark Twain befeuert (41ff), wirkt bei aller Überzeugungskraft der Beispiele ein wenig zufällig. Ein Migrationsschub[1] hätte vielleicht Grundsätzlicheres bewirkt.
Dafür ist die Leidenschaft für das Plattdeutsche und seine Zukunft unüberhörbar! (45ff) Und so malt Brüchert eine glänzende Zukunft dieser norddeutschen Minderheitensprache – natürlich in diesem Idiom! (52ff)
Allerdings bewirkt eine EU-Sprachencharta von 1999 keine zweisprachige Praxis, so sehr man das bedauern mag. Und leider wird die Herkunftssprache von norddeutschen Autoren eher ignoriert, von drei rühmlichen Ausnahme-Autoren, Fritz Reuter, Fritz Stavenhagen und Wilhelmine Siefkes (62f) abgesehen.
Als betroffener Stückeschreiber macht Brüchert nicht nur die Freilichtbühne bekannt, sondern spürt dem Motiv zum Plattdeutsch-Theater nach (74ff). Als langjähriger Leiter einer Studentenbühne würde ich gern meine Gedanken[2] dazu mit dem Autor diskutieren!
Der zweite Teil spürt dem Werdegang der Hanse nach und bedauert, dass das Niederdeutsche keine Literatursprache werden konnte (84f). Oldenburg wird zu meiner Verblüffung als Piratennest vorgestellt (85ff) und eine geographische und irritierende Besonderheit in der Einteilung der Friesen erläutert (92ff).
Aus einem regionalen Reisetagebuch von 1753 werden mehrere Seiten zitiert (97ff), und damit sehr anschaulich der Stil, der Wortschatz und die befremdliche Orthographie. Ebenfalls als gleichsam Ausland im Inland beschreibt ein gewisser J. G. Hoche 1798 eine Reise ins Saterland, dessen besonderes Idiom Maron C. Fort der Nachwelt erhalten hat (102f).
Mit dem folgenden ausführlichen Essay (103ff) knüpft Brüchert offenbar an seine vorangegangene Geschichtssammlung[3] an, indem ausführlichere Fakten, Kommentare, Zitate und Fotos eingefügt sind.
Eigene Erinnerungen aus dem Anfang der Bundeswehrzeit kommen hoch, als er von der eigenen Helferrolle als Soldat der Bundeswehr in der Orkanflut 1962 erzählt und vom eigenmächtigen Vorgehen des damaligen Hamburger Innensenators berichtet (133f). Auch dieser Essay wird illustriert und in die Gegenwart hinein verlängert (138f).
Lob des Schlittschuhlaufens – so könnte der Essay, dessen Illustration schon frühzeitig neugierig macht (80) heißen: sogar kunsthistorisch erläutert Brüchert diesen, der Klimakrise längst geopferten Wintersport (139ff). Die direkte Betroffenheit von und mit diesem Sport verdeutlicht Brücherts Teilnahme an der Elf-Steden-Tocht (144ff).
Sieben dem Autor wichtige Oldenburger und Ostfriesen werden ausführlich, kenntnisreich und liebevoll vorgestellt: Arp Schnitger (149ff), Joachim Rachel, eine mir interessante und reizvolle Neubegegnung (153ff) mit lyrischen Beispielen, die auch Brücherts Spaß verrät; Fritz Lottmann (163ff), Georg von der Vring mit einem ebenso interessanten wie gewagten Bilddeutungs-Experiment; August Hinrichs, der Naziverführte (173ff), Karl Veit Riedel mit seiner Arbeit über Geschichte und Kunst des Puppenspiels (180ff) schließlich Maron Curtis F er tritt nicht als Schulmeister auf ort (183ff), der farbige Plattdeutschsprecher und Verfasser eines Wörterbuchs zum Saterfriesischen, der mich übrigens in den Borsla-Jurorenkreis empfohlen hat.
Ein ausführliches Literaturverzeichnis beendet den Band.
Erhard Brüchert bestätigt hier und steigert mein positives Vorurteil: Nicht nur im Niederdeutschen, seiner Geschichte und gesellschaftlichen Akzeptanz kann man viel von ihm lernen! Und er tritt nicht als Schulmeister auf, sondern bescheiden und um Verständnis bemüht. Es macht Freude, von ihm zu lernen.
Erhard Brüchert: Ort Sprache Heimat, Essays zur Geschichte und Sprache Oldenburgs und Ostfrieslands, Oldenburg: Isensee 2021, kart., 190 Seiten, ISBN 978-3-7308-1761-2
[1]vgl.Abbas Khider: Deutsch für alle. Das endgültige Lehrbuch, München 2019
[2] Eberhard Ockel: 10 Stücke für die Unterrichtspraxis, in: A. Holling u.a. (Hg): Identität als Lebensthema. Festschrift für Arnold Schäfer, Vechta: Geest 2007, S. 231ff
[3] Erhard Brüchert: Rote Wut am Wattenmeer, in: Friesische Novellen. Sieben Erzählungen von Ems bis Jade, an Watt und Küste, Oldenburg 2020, S. 87ff
Heft Artikel von: Ockel, Prof. Eberhard